DUNKLE OASEN / Texte
Mark Stand in VOGUE, New York, Dezember 1986
WE ARE A CAMERA
Jaschi Klein's photographs are staged presentations of privileged instants -instands of such contrived power that the viewer becomes an invisible force within each photograph, mysteriously figured into its action or inaction. lt is part of Klein's genius that we have so little choice in the matter. We are drawn into a magical moment that extends itself, it would seen, only that it might include us, and make us feel that we are not only the discoverers of what we have seen but the cause as weil. Take her photograph of the horse pulled back on its haunches in front of a pyra-mid (above). The expanse of desert and the restrained horse, the pyramid's distant, transcendent calm and the hor-se's extreme, even convulsive, response to command create a theatricality that is both mute and flamboyant. And yet, what is the occasion? Why is the horse being held back? ls it that we might see the pyramid unobstructed and its would-be obstruction together, opposites stilled, held in check, in balance, for an extreme instant? lf so, then the photograph records the violent and unexpected result of our looking - as if we were the photo-grapher. And we are, in that extended moment, precisely that. Why eise would we feel a nervous need to explain the character of our seeing - as if we were actually present at the scene and were implicated in its tumult. In some of Jaschi Klein's photographs, the involuntary participation in what we see is dealt with even more mysteriously. The photograph of what appears to be a courtyard in which a dog sleeps and a foreground figure, seen from behind, is draped over a second-story wall is one of these. The inexplicably collapsed figure, seen against the harsh, geometrical disposition of lights and darks, suggests the possibility of tragedy more than exhaustion or containment. We seem to have come upon a scene at a telltale moment, but, just as in the photograph of the horse and pyramid, what is telltale is hidden unless we are willing to assume the burden of narrative by putting our-selves in the photographer's shoes. lf we do, of course, the collusive nature of our presence quickly becomes exploitive. In another photograph,our involvement takes place on a different level entirely, one that is poetic and wholly without a narrative dimension. A luminous tree ' standing with oneiric finality against an omniously dark and fluid‚ background, becomes a negative, not only because it reverses our image of trees (dark against a lighter sky) but because it takes on a human look, as if a white forearm and hand were holding up a bunch of leaves. Such a distortion or alteration of reality is by no means frivolous or cosmetic; it is ontological. The tree ceases being a tree and becomes light's creature - a radiant part of ourselves.In Klein's photographs, though we are not seen, we complete what is seen. Again and again, our presence is taken into account, and we are permitted, by our very looking, to alter the world.
Mark Stand in VOGUE, New York, Dezember 1986
(übersetzung)
WIR SIND EINE KAMERA
Jaschi Kleins Photographien sind inszenierte Präsentationen privilegierter Augenblicke - Augenblicke, die solche Macht ausüben, daß der Betrachter eine unsichtbare Kraft in jedem Photo und auf mysteriöse Weise in seine Handlung oder Handlungslosigkeit mit einbezogen wird. Kleins Genie besteht zu einem Teil darin, daß uns nur so wenig Wahlmöglichkeiten dabei gelassen werden. Wir werden in einen magischen Moment mit einbezogen, der sich - wie es scheint - ausdehnen will, allein, um uns einzuschließen und uns fühlen zu lassen, daß wir nicht nur die Entdecker des von uns Gesehenen, sondern auch seine Ursache selbst sind. Betrachte man z.B. ihr Photo des Pfer-des, das vor einer Pyramide auf seine Hinterhand gerissen wird. Die Weite der Wüste und das zurückfallende Pferd, die ferne, transzendente Ruhe der Pyramide und die extreme, ja konvulsive Reaktion des Pferdes auf ein Kommando schaffen eine Theatralik, die sowohl stumm als auch schreiend ist. Und dennoch, was ist der Grund? Vielleicht, daß wir die Pyra-mide unverdeckt und das sie potentiell Verdeckende zusammen sehen, als Gegensätze, für einen extremen Augen-blick unter Kontrolle und in Balance gehalten? Wenn dem so ist, dann spei-chert die Photographie das gewalttätige und unerwartete Ergebnis unseres Schauens - als ob wir der Photograph wären. Und genau das sind wir in diesem gedehnten Moment. Warum sonst würden wir einen nervösen Drang verspüren, den Charakter unseres Sehens zu erklären, als ob wir tatsächlich am Ort präsent und in den Tumult verwickelt wären. In einigen der Photographien Jaschi Kleins wird mit der unfreiwilligen Beteili-gung an dem, was wir sehen, noch myste-riöser umgegangen. Die Photographie eines - wie es scheint - Hofes, in dem ein Hund schläft, und im Vordergrund eine Gestalt, von hinten gesehen und über eine Mauer im Obergeschoß gebeugt ist, gehört dazu. Die in nicht erklärbarer Form kollabierte Gestalt, gegen die harsche, geometrische Anord-nung von Licht und Dunkel gesehen, sug-geriert mehr die Möglichkeit einer Tragö-die als von Erschöpfung oder Gefangen-sein. Wir scheinen die Szene in einem Schlüsselmoment betreten zu haben; aber wie bei der Photographie des Pfer-des und der Pyramide bleibt der Schlüs-sel zur Geschichte solange verborgen, wie wir nicht bereit sind, die Last des Erzählers zu übernehmen und an die Stelle der Photographin zu treten. Tun wir es, so wird natürlich das Verschwöre-rische unserer Gegenwart schnell Miß-brauch. Bei einem anderen Bild ergibt sich unsere innere Beteiligung auf einer völlig ande-ren Ebene, die poetisch und völlig ohne erzählerische Dimension ist. Ein licht-strahlender Baum steht mit der Endgültig-keit des Traumes gegen einen ominös dunklen und verschwimmenden Hinter-grund; er wird zum Negativ, nicht nur, weil unser Bild vom Baum umgekehrt wird (Dunkel gegen hellen Himmel}, sondern weil er menschliche Erscheinung an-nimmt, so als ob ein weißer Unterarm mit Hand ein Büschel Blätter hochhielte. Derartige Verfremdung oder Veränderung der Realität ist keinesweg frivol oder kos-metisch; sie ist ontologisch. Der Baum hört auf, Baum zu sein und wird eine Lichtgestalt - ein strahlender Teil unseres Selbst. In Kleins Bildern vervollständigen wir, was zu sehen ist, obgleich wir nicht zu sehen sind. Immer wieder wird unsere Anwesen-heit mit eingerechnet, und es wird uns erlaubt, allein durch unser Sehen die Welt zu verändern.
JASCHI KLEIN, TRAUM UND WIRKLICHKEIT VERMENGT
Wenn Salomon und Sander, jeder auf seine Weise, eine bestimmende Strömung in der Geschichte der deutschen Photo-graphie geschaffen haben, so ist es seit den 50er Jahren eher die subjektive Photographie, die die neue Generation beeinflußt. Jaschi Klein ist eine ihrer dynamischsten Vertreterinnen. Durch ihre klare und präzise Komposition, den zeichnenden, ordnenden und struktu-rierenden Verlauf der Linien, durch ihre Unbewegtheit, über die der Blic gle tet oder sich niederläßt, erreichen die Bilder von Jaschi Klein den kontemplativen Wert geistiger Bilder. Form zu verleihen dem sichtbaren und inneren Zusammenhang, ist in der Tat wohl ihr Anliegen. Auch wenn alles Gezeigte präsent ist, ist gleichwohl nichts weniger a_hr als das'. was als Illusion vergegenwart1gt erscheint. Warum machen all die jungen Mädchen einen so abwesenden Eindruck, daß sie irreal erscheinen? Und warum bringt sie das Haar, das ihr Gesicht peitscht, auf so grausame Weise zurück in die Wirklichkeit? Diese Photographien, weich und gespannt zugleich, beschreiben nicht, sie sind bewußt ästhetisch und an der Grenze zur Abstraktion, sie sind in bemer-kenswerter Weise von elementaren, geo-metrischen Figuren gestaltet und zeugen in ihrer Traumhaftigkeit von einer bewuß-ten Erschließung des Unbewußten. Jaschi Klein hat auch Malerei studiert und sich am Film versucht. In ihrer Arbeit erzählt sie Geschichten, die sie in einem einzigen Gestaltungsakt ersinnt und auf-nimmt. Ein liegender Rücken, Hände, die Haare raufen, Schatten auf einer Mauer, ein Pferd, das sich vor einer Pyramide bäumt, ein Akt hingestreckt in einer Straße, genügen, um ihren Visionen Gestalt zu geben. Die Fabel entsteht schwarz auf weiß, ohne Handlung, aber nicht ohne Humor, auf der Bühne eines Theaters, auf der die Quellen des Lichtes, die aufmerksame Einbeziehung der Stimmung, die beson-dere Auswahl der Umgebung es der Künstlerin gestatten, mit den Formen zu spielen, um so die Momente der Abwe-senheit zurückzurufen, die man so häufig in der Wirklichkeit erlebt. In ihrer Traum-haftigkeit und Tiefsinnigkeit, in Bilder umgesetzt durch die Modelle der Insze-nierung, sind die Photographien von Jaschi Klein Botschaften der Phantasie. Gerade wegen ihres bewußten Suchens und ihrer Freude am Experiment schöp-fen sie ihren Stoff aus dem wirklichen Leben - und sind sie so außergewöhnlich subjektiv.